Neues aus der BVfK-Rechtsabteilung:
Reichweite der Beweislastumkehr -
Hat der BGH das letzte Wort?
Doppelte Rückwirkungsvermutung
Gegen Ende des Jahres 2016 sorgte eine Entscheidung des BGH (VIII ZR 103/15) für reichlich Unruhe im Kfz-Handel. In Anlehnung an die vorausgehende „Faber“-Entscheidung des EuGH wich man von der bisherigen Spruchpraxis zur Vermutungswirkung des § 476 BGB (inzwischen § 477 BGB) ab, wonach der Käufer das Vorliegen eines Grundmangels zu beweisen hatte, um in den Genuss von Gewährleistungsansprüchen zu kommen. Lediglich in zeitlicher Hinsicht sollte bei erbachtem Nachweis des Grundmangels die Vermutungswirkung gelten, dass dieser Defekt bereits im Zeitpunkt des Gefahrenübergangs vorhanden war, sofern er innerhalb der ersten 6 Monate nach Übergabe des Fahrzeugs auftrat.
Das sollte weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen, denn der Käufer musste fortan nur noch irgendein wahrnehmbares Symptom („Mangelerscheinung“) vortragen, jedoch weder darlegen noch beweisen, auf welche Ursache dieser Zustand zurückzuführen ist. Stattdessen ist der Verkäufer einer Rückwirkungsvermutung in doppelter Hinsicht (Grundmangel & dessen Vorliegen bei Gefahrenübergang) ausgesetzt, die er wohl nur in wenigen Fällen zu entkräften vermag.
Entscheidung eines Amtsgerichts – Alles Willkür?
Das Verfassungsgericht Brandenburg (Beschluss vom 12.04.2019, VfGBbg 25/18) hatte sich nun mit der Frage auseinanderzusetzen, ob von diesen Grundsätzen, denen sich die ganz überwiegende Rechtsprechung angeschlossen hat, abgewichen werden darf. Zu überprüfen hatte das Gericht eine Entscheidung des AG Neuruppin, der wiederum folgender Sachverhalt zugrunde lag:
Ein Verbraucher erwarb von dem beklagten Kfz-Händler einen 14 Jahre alten Pkw zum Preis von 2.100,00 €. Fünf Wochen nach Übergabe erneuerte der Händler Kühler und Zylinderkopfdichtung aufgrund eines aufgetretenen Wasser- und Ölverlusts. Der Käufer begehrte Ersatz der Kosten für das wiederholte Aufsuchen des Verkäufers, da es sich um notwendige Kosten der Nachbesserung gehandelt habe. Dem widersprach der Verkäufer unter Verweis auf typische Verschleißerscheinungen in Form einer Schlauchkorrosion, die keinen Sachmangel im Sinne der §§ 434 ff. BGB darstelle.
Das Amtsgericht sah die Beweislast für das Vorliegen eines Mangels beim Käufer. Dieser habe nicht nachgewiesen, dass es sich nicht um gewöhnlichen Verschleiß handle, der bei einem Fahrzeug mit vergleichbaren Eckdaten typisch sei. Die insofern geänderte Rechtsprechung des BGH blieb bei der Entscheidungsfindung unberücksichtigt. Mit seiner hiergegen eingereichten Verfassungsbeschwerde wehrte sich der Käufer gegen das Außerachtlassen eben dieser Rechtsprechung und rügte u.a. eine Verletzung des Willkürverbots. Er vertrat die Auffassung, er hätte auf die abweichende Rechtslage und seine damit einhergehende Verpflichtung zur Darlegung und zum Nachweis des Mangels hingewiesen werden müssen.
Dem folgte das Verfassungsgericht. Nach alter Rechtsprechung, die das Amtsgericht angewandt hatte, schlossen typische Verschleißerscheinungen die Beweislastumkehr aus, sofern der Käufer nicht nachweisen konnte, dass ein kaufrechtlich relevanter Grundmangel vorliegt. Nach neuer Rechtsprechung hingegen hätte es genügt, wenn der Käufer lediglich den Wasser- und Ölverlust dargelegt hätte, weil dann zu seinen Gunsten vermutet würde, dass es sich um einen Sachmangel handelt, den wiederum der Verkäufer zu wiederlegen hat.
Weicht ein Gericht hiervon ab, hätte dies zumindest einer Begründung bedurft, die allerdings nicht vorlag. Demzufolge stufte das Verfassungsgericht die Entscheidung des Amtsgerichts als objektiv willkürlich und damit als Verstoß gegen Art. 52 III Fall 1 BbgVerf ein.
Anmerkung der BVfK-Rechtsabteilung
Die Entscheidung zeigt Folgendes auf:
1. Gerichte sind nicht unfehlbar und Verfahrensfehler kommen häufiger vor. Urteile sollten hierauf stets von fachkundigen Juristen überprüft und ggf. angegangen werden.
2. Die „neue“ Rechtsprechung des BGH zur Beweislastumkehr hat sich flächendeckend durchgesetzt. Eine Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung ist in Grenzen möglich, bedarf aber einer schlüssigen Begründung. Andernfalls besteht die Gefahr der Ungleichbehandlung sowie der Willkürlichkeit, die gleichermaßen zur Aufhebung des Urteils führen können.
Hätte das Amtsgericht die Entscheidung des BGH gesehen und in nachvollziehbarer Weise argumentiert, weshalb die dort aufgestellten Grundsätze im zu entscheidenden Fall nicht greifen, wäre die Entscheidung womöglich anders ausgefallen. Ob und in welcher Form eine solche Begründung einer rechtlichen Überprüfung standhält, beurteilt sich an den Umständen des Einzelfalls. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts zeigt jedenfalls, dass die Beweislastverteilung zu Gunsten des Händlers kein Ding der Unmöglichkeit ist, allerdings von der Einhaltung der Verfahrensgrundsätze des zuständigen Gerichts abhängt.
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